Radvorrang-Route ohne Vorrang

Ein Plädoyer für eine Änderung des Begriffs „Radvorrang-Route“

Meine Meinung

Als ich das Schild zum ersten Mal sah, freute ich mich, als Radfahrer endlich einmal im hektischen Durcheinander der unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer Vorfahrt zu haben.

Zum Glück traf ich aber an der nächsten Kreuzung auf einen rücksichtvollen Autofahrer, der von rechts kam und mich nur anhupte, weil ich ihm die Vorfahrt nahm. Aber ich war doch auf der Rad-Vorrang-Route, sagte ich mir, verfiel aber ins Grübeln.

Was bedeutet Vorrang?

Rein semantisch, also von der Bedeutung des Wortes her, hatte ich doch Vorrang, dachte ich mir und schaute zu Hause im Duden nach. Hier fand ich die Definition:

„[den] Vorrang [vor jemandem, etwas] haben,

jemandem den Vorrang geben, gewähren, streitig machen“

Besonders im Österreichischen findet man hier

„an Zebrastreifen haben Fußgänger Vorrang [vor dem Fahrzeugverkehr]“

Synonyme für Vorrang werden im Synonymwörterbuch des Dudens auf S. 1026 z.B. genannt:

„Erstrangigkeit, größere Bedeutung,  […], höhere Wichtigkeit, höherer Rang, […] Primat, Priorität“

Aus meinem Erlebnis mit dem Autofahrer oben muss ich zwar folgern, dass ich auf einer Rad-Vorrang-Route war, aber doch keinen Vorrang hatte.

Der Grund:  Das obige Schild ist kein offizielles Verkehrszeichen, das mir Vorrang gewährt.

Gefahren und Irritationen

Wenn ich mir vorstelle, dass der Autofahrer aus dem Beispiel oben nicht so rücksichtsvoll gewesen wäre, hätte es also schnell zu einem Unfall kommen können, wodurch ich als Radfahrer vermutlich den Kürzeren gezogen hätte, sprich: verletzt worden wäre.

Die erste Lehre, die ich daraus ziehen muss:

Das Schild Rad-Vorrang-Route ist irreführend und gibt dem Radfahrer keinen Vorrang vor anderen Verkehrsteilnehmern. Es gilt weiterhin die StVO, also z.B. rechts vor links, wenn kein Zeichen am Straßenrand steht.

Die zweite Lehre, die ich daraus ziehen muss:

Kollidieren die Interessen der Fußgänger mit denen der Radfahrer auf einer Rad-Vorrang-Route, hat man auf den schwächeren Verkehrsteilnehmer, hier den Fußgänger, Rücksicht zu nehmen. Der Fußgänger hat also hier Vorrang im Sinne der oben zitierten Bedeutung, obwohl der Radfahrer auf einer Rad-Vorrang-Route fährt.

Beispiele (nur exemplarisch):

  • Wirichsbongardstraße zwischen Reihstraße und Friedrich-Wilhelm-Platz
  • Schildstr./Ecke Harscampstr.
  • Lothringerstr. zwischen Alfonsstr. und Wilhelmstraße

Leider kommt es an diesen beispielhaften Stellen immer wieder vor, dass ungeduldige und rücksichtslose Radfahrer die Fußgänger einfach wegklingeln, sie auch manchmal noch beschimpfen, weil sie sich auf der Vorrang-Route wähnen. An dieser Stelle sei noch einmal an den § 1 der StVO erinnert:

  • Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. (2) Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.

Die dritte Lehre, die ich daraus ziehen muss:

Verkehrspolitische Entscheidungen müssen eindeutig sein und sich m.E. immer am schwächsten Verkehrsteilnehmer orientieren. Wenn z.B. darüber diskutiert wird, ob eine Gefahrenstelle wie am Neumarkt, wo Fußgänger aus den Cafés und Restaurants die Rad-Vorrang-Route queren, um auf dem Neumarkt einen Tisch zu erreichen, kann ich als Verwaltung nicht allen Ernstes eine schachbrettartige Straßenmarkierung vornehmen, um deutlich zu machen, dass Fahrradfahrer hier vorsichtig sein und warten müssen, wenn ein Fußgänger die Straße überquert.

Die einzig klare Aussage an dieser Stelle müsste ein breiter Zebrastreifen sein, um dem Radfahrer zu signalisieren, der querende Fußgänger hat hier Vorrang.

Die vierte Lehre, die ich daraus ziehen muss:

Das Schild Rad-Vorrang-Route muss eigentlich aus dem Verkehr gezogen und durch eine andere Benennung ersetzt werden.

Liest man das Kleigedruckte auf dem Schild, so findet man dort den eigentlichen Sinn der verkehrspolitischen Maßnahme, nämlich die äußeren Stadtteile für die Radfahrer an die  Innenstadt anzubinden.

Mein Fazit:

Eigentlich müsste der irreführende Begriff „Rad-Vorrang-Route“ durch einen anderen ersetzt werden, z.B. „Rad-Leitsystem“. Nur wenn man die Bedeutung einer Maßnahme klar benennt, können Gefahren und Irritationen vermieden werden.

Toni Göckler